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Praxisteam

Wissen, was zu tun ist – Mundhygiene in der häuslichen Pflege

Es ist nichts Neues – Deutschland befindet sich seit Jahren in der demografischen Zeitenwende. Eine höhere Lebenserwartung und die Generation der Baby-Boomer, die zunehmend das Rentenalter erreichen, stehen für eine doppelte Altersdynamisierung. Die Alterspyramide steht „Kopf“ und die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Leider wird bei diesen heute noch viel zu oft eine angemessene Mundhygiene vernachlässigt. Mit welchen Argumenten man Angehörige und Pflegende von der Relevanz einer sorgfältigen Mundpflege überzeugen kann und wie man auf einfache Weise eine Routine im häuslichen Umfeld etabliert, erläutert Meike Wattjes, Gewinnerin des PraxisAWARD Prävention 2024, der Initiative „Für eine mundgesunde Zukunft in Deutschland“.

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Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird laut BMG bis 2050 auf ca. 7,5 Mio. steigen. Rund 80% aller Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen oder Freunden betreut, oftmals von ambulanten Pflegediensten unterstützt [1-4]. Im Vordergrund steht immer eine stabile Grundversorgung, die auf Ernährung, Medikamentengabe und Körperpflege fokussiert ist. Obgleich die Notwendigkeit der Mundpflege offensichtlich ist, wird sie oft vernachlässigt. Dies hat gesundheitliche Konsequenzen für die Pflegebedürftigen. Unzählige Studien belegen, dass eine unzureichende Mundhygiene das Risiko für systemische Erkrankungen erhöht [5].

Bereits bestehende Krankheitsbilder, wie z.B. Diabetes Typ II, werden verschärft, denn Prozesse im entzündeten Zahnfleisch fördern die Insulinresistenz der Zellen. Umgekehrt erhöht ein Diabetes die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Gingivitis bzw. Parodontitis [6]. Dennoch sind Angehörige kaum über pathogene Keime der Mundhöhle und deren Wirkungen auf den menschlichen Organismus informiert. Ebenso fehlen meist Kenntnisse über die Wechselbeziehung von chronischen Grunderkrankungen, der Mundhöhle und Medikamenten, obgleich pflegebedürftige Menschen im Durchschnitt fünf oder mehr Medikamente einnehmen [7,8].

Von einer Polymedikation sind besonders multimorbide Pflegebedürftige betroffen. Hier kann die Kombination von Krankheit und Arzneimittel erhebliche Auswirkungen auf die Mundgesundheit haben. Die Xerostomie ist eine davon. Mundtrockenheit entsteht häufig durch die Einnahme von Antihypertensiva, Antidepressiva, Diuretika oder Parkinsonpräparate [9,10]. Doch der Speichel hat als natürlicher Schutzfaktor eine wichtige Funktion: Dazu zählen Neutralisation von Säuren, Remineralisation des Zahnschmelzes, Reinigung der Mundhöhle und Schutz vor Infektionen [11,12]. Fehlt der Speichel, entsteht ein trockenes, oft brennendes Mundgefühl, Pflegebedürftige können sich nicht mehr mitteilen – die Zunge klebt am Gaumen. Es kommt zur schnelleren Plaquebildung, was das Risiko für Karies, Gingivitis und Parodontitis (Abb. 1 und 2) deutlich erhöht.

Pflegende sollten daher die Symptome von Xerostomie erkennen, um passende Maßnahmen einleiten zu können, z.B. eine gezielte hochkonzentrierte Fluoridanwendung oder die Empfehlung feuchtigkeitsspendender Präparate [13,14]. Besonders kritisch ist die Situation, wenn ein vorhandener Zahnersatz aufgrund seiner Komplexität schwieriger zu reinigen ist (Abb. 3–5).

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Abb. 1: Männlicher Patient, dement, Pflegegrad 4. Frontzahnbrücke im Unterkiefer, Teleskopprothesen
im Ober- und Unterkiefer. Parodontitis aufgrund unzureichender Mundhygiene.
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Abb. 2: Der Pflegebedürftige wird durch die Ehefrau und einen ambulanten Pflegedienst betreut. Zahn 32 hat distal eine tiefe Karies – Ursache ist die bis dato fehlende Interdentalhygiene.
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Abb. 3: Suprakonstruktion mit Implantaten Regio 23–25. Plaque, Pusaustritt aufgrund mangelhafter Mundhygiene. Patientin besitzt Pflegegrad 3, wird durch einen Pflegedienst betreut.
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Abb. 4: Suprakonstruktion Regio 13–23 mit gebrochenem Steg Regio 13. Subgingivale Konkremente, feine Essensreste und Plaque sind Ursache für eine Parodontitis.
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Abb. 5: Heimbewohnerin mit Pflegegrad 5. Implantatgetragene Brücke Regio 16–14. Gingivitis, Zahnfleischrückgang, Plaque und Konkremente aufgrund unzureichender Mundhygiene.

Im Folgenden wird das Vorgehen zur Pflegeschulung dargestellt. Der beispielhafte Fall demonstriert zudem, dass Pflegegrade in Verbindung mit Polymedikation und einer mangelhaften Mundhygiene zwar zu stark entzündlichen Prozessen führen können, diese aber durch individuelle Vorbeugungsmaßnahmen vermeidbar und sogar reversibel sind.

Fallbeispiel: Pflegebedürftiger Mann, 88 Jahre

Ein 88-jähriger Patient, Pflegegrad 4, nach Apoplex pflegebedürftig, lebte in einem Pflegeheim, wo er täglich von seiner Frau besucht wurde. Er litt an einer rechtsseitigen Parese, war sprachlich und feinmotorisch stark eingeschränkt. Seine Polymedikation war dem allgemeinen Gesundheitszustand und dem Diabetes angepasst. Der Ober- und Unterkiefer des Patienten war mit festsitzendem Zahnersatz, bestehend aus Kronen, Brücken und zwei Inlays, hochwertig versorgt. Die Mundhygiene wurde vom Patienten selbstständig durchgeführt, während sich das Pflegepersonal auf vorbereitende Maßnahmen beschränkte – mit mangelhaftem Ergebnis.

Die Präventionsmaßnahmen und die Inspektion in der Praxis offenbarten einen Plaque- und Blutungs-Index von nahezu 100%. Speisereste, subgingivale Konkremente und eine massive Entzündung des Parodontiums. Des Weiteren fehlte dem Patienten die Frontzahnkrone 21. Es galt, weiteren gesundheitlichen Schaden vorzubeugen.

Um den sofortigen Handlungsbedarf gerecht zu werden, wurde die Ehefrau mittels „Learning by Doing“ in der praktischen Mundhygiene geschult. Neben einer Begutachtung der Mundhöhle und Optimierung von Hilfsmitteln wurde eine Verbesserung der Reinigungstechniken gezeigt. Eine der Mundhygienesituation angepasste Zahncreme führte zu einer intensiven Entfernung von Plaque, wirkte antibakteriell und sorgte für die Härtung des Zahnschmelzes. (Abb. 6–10). Nach drei individuellen Übungsterminen konnte die Teilnehmerin eine zielsichere Zahn- und Mundpflege bei ihrem Ehemann binnen 5 Minuten durchführen. Der positive Effekt war nicht zu übersehen! Innerhalb weniger Tage war die Zahnfleischentzündung abgeklungen.

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Abb. 6: Begutachtung der Mundhöhle mit der zu schulenden Angehörigen.
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Abb. 7: Aufzeigen der Instrumente zur Interdentalpflege und derer Anwendung.
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Abb. 8: Aufzeigen der Instrumente zur Interdentalpflege und derer Anwendung.
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Abb. 9: Erläuterungen zur korrekten Anwendung einer oszillierend rotierenden Zahnbürste.
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Abb. 10: Motiviert und mit Freude bei der Schulung zu dritt.

Fazit – 5 Minuten reichen aus!

Die Mundhöhle ist ein Spiegel der allgemeinen Gesundheit – und zugleich Eintrittspforte für Mikroorganismen, die systemische Erkrankungen verursachen. Mangelhafte Mundhygiene kann chronische Erkrankungen wie Diabetes und rheumatoide Arthritis verschlechtern [15,16], das Risiko für Pneumonien erhöhen (v.a. bei bettlägerigen Patienten) [17,18], Entzündungen im Mund fördern, die auch andere Organe belasten können [19] und sogar das Risiko für Demenzerkrankungen steigern, da kognitive Einschränkungen oder Sprachstörungen eine Kommunikation verhindern [10,21]. Aspekte, die in Beratungsgesprächen sehr deutlich gemacht werden sollten, um das Verständnis für die Relevanz einer guten Mundhygiene zu stärken und die klare Haltung zu etablieren: Mundpflege ist keine Nebensache, sondern ein zentraler Bestandteil professioneller Pflege.

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Mit den passenden Hilfsmitteln, wie elektrischen Zahnbürsten, Interdentalbürsten sowie auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmter Zahncreme und Techniken, lässt sich eine wirkungsvolle Zahn- und Mundpflege auf leichte Weise auch in der Pflege umsetzen. Chronische Krankheitsbilder, die daraus resultierende Polymedikation und komplexer Zahnersatz sind eine realistisch zu bewältigende Herausforderung in der Mundhygiene [22]. Fünf Minuten Zahn- und Mundpflege täglich reichen aus, wenn Pflegekräfte und Angehörige gezielt und informiert handeln. Pflegende haben die Möglichkeit, durch gezielte Unterstützung die Mundhygiene ihrer Anvertrauten signifikant zu verbessern. So wird Allgemein- und Zahngesundheit generiert, die mehr Lebensqualität und Freude schafft und letztendlich auch die Pflege leichter gestaltet – weil Lächeln kein Alter kennt.

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Meike Wattjes

Sources

[1]   Bundesministerium für Gesundheit (BMG), 2023; Pflegebedürftige Menschen in Deutschland – Zahlen und Prognosen; https//www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/zahlen-und-fakten.html

[2]   WldO Pflege Report 2023, Versorgungslücken im Pflegesystem schließen – Prognosen bis 2040 und darüber hinaus; (Hrsg. Rothgang,H.), Springer Verlag

[3]   Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023, Pflege im Fokus – Projektion bis 2055; (Pflegekompetenzgesetz basiert auf der Datenlage); https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/inhalt.html

[4]   Statistisches Bundesamt(Destatis), 2023, Pflegestatistik 2021:Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse; https://destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/inhalt.html

[5]   www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/handbuch_mundhygiene.pdf, wie z.B. Diabetes, COPD, rheumatoide Arthritis und Herz-Kreislauferkrankungen

[6]   Diehl D. Friedmann A.: Parodontitis und Diabetes – Assoziation zweier Volkskrankheiten. MMW – Fortschritte der Medizin  164 (12). 2022. https://www.researchgate.net/publication/361468473_Parodontitis_und_Diabetes_-_Assoziation_zweier_Volkskrankheiten

[7]   Holt, S., Schmiedl, S.,& Thürmann, P.A., „Potentiell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Ein Überblick“, 2010, Deutsches Ärzteblatt, https://doi.org/10.3238/aerztebl.2010.0543

[8]   Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).(2018).“Polypharmazie: Zu viele Medikamente im Alter“; https://www.gesundheitsinformation.de/polypharmazie-zu-viele-medikamente-im-alter.html

[9]   Müller,F., Nitschke,I., & Schäfer,H., „Mundtrockenheit im Alter – Ursachen, Folgen und Therapieansätze“; Zahnärztliche Mitteilungen (zm), 101(5), 2011

[10] Zenthöfer, A., Cabrera, T., &Rammelsberg, P., „Xerostomie und Medikamente: Bedeutung für Pflegebedürftige“, Zahnmedizin Pflege, Ausgabe 3, 2016

[11] Hannig, M., & Joiner, A., „Speichel – ein unterschätzter Schutzfaktor im oralen System“, ZWR – Das Deutsche Zahnärzteblatt, 115(8); 2006

[12] Kassenzahärztliche Bundesvereinigung (KZBV), „Mundgesundheit im Alter erhalten – auch bei Pflegebedürftigkeit“, 2019, https://www.kzbv.de/mundgesundheit-und-pflegebeduerftigkeit

[13] Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ), „Mundgesundheit in der Pflege: Empfehlungen für die Praxis“, 2021, https://www..dgaz.org/

[14] Schwindling, F.S., & Müller, F., „Mundtrockenheit bei Pflegebedürftigen: Fluoride und künstlicher Speichel in der Langzeitpflege“, Zahnmedizin Pflege, Ausgabe 4, 2020

[15] Deutsche Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), „Mundgesundheit und rheumatoide Arthritis“, Positionspapier, Zahnärztliche Mitteilungen, 2012

[16] Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DG PARO) & Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Gemeinsame Stellungsnahme zu Parodontitis und Diabetes mellitus; Förderung systemischer Erkrankungen, https://www.dgparo.de/stellungnahmen

[17] RobertKoch-Institut (RKI), „Prävention von beatmungsassoziierten Pneumonien in der Langzeitpflege“, Epidemiologisches Bulletin, 19/2020, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/19_20.pdf

[18] Barbe, A.G., „Zusammenhang zwischen oraler Gesundheit und Pneumonien bei Pflegebedürftigen“, Das Deutsche Ärzteblatte, 127(10), 2018, https://doi.org/10.1055/s-0043-121883

[19] Deutsche Gesellschaft für Zahn-  Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), „Mundgesundheit und Allgemeingesundheit: Wissenschaftliche Stellungnahme zur Wechselwirkung zwischen oralen Erkrankungenund systemischer Gesundheit, 2016, https://www.dgzmk.de/uploads/media/DGZMK-Stellungsnahme_Mundgesundheit-Allgemeingesundheit.pdf

[20] Barbe, A.G., „Parodontitis und Demenz – ein unterschätzter Zusammenhang“, ZWR – Das Deutsche Zahnärzteblatt, 130(3), https://doi.org/1o.1055a-1361-31145, 2021

[21] Bundeszahnärztekammer (BZÄK), „Mundgesundheit und Demenz – Handlungsempfehlungen für Pflegekräfte und Angehörige, https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/mundgesundheit-und-demenz.pdf, 2020

[22] Inaugural-Dissertation zur Erlangung der zahnmedizinischen Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln, Aya Al-Barwari, 2022: Biofilmkontrolle bei Patient*innen mit reduzierter eigenverantwortlicher Mundhygienefähigkeit durch geschultes nicht-zahnmedizinisches Personal: eine randomisierte kontrollierte Interventionsstudie https://kups.ub.uni-koeln.de/64891/1/Dissertation%20Aya%20Al-Barwari.pdf

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